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Fußball | 3. Liga 3. Liga am Scheideweg: Liga der Hasardeure

Stand: 20.05.2022 12:47 Uhr

Zehn Insolvenzen von Drittligisten in den vergangenen zehn Jahren. Viele Klubs in der 3. Liga wirtschaften unseriös. Die Kontrollen durch den DFB sind mangelhaft.

Von Matthias Wolf

In der 3. Liga steht die letzte Saison-Entscheidung an: Die Relegation zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Dynamo Dresden, mit dem Hinspiel an diesem Freitag (20.05.2022), und dem Rückspiel am Dienstag, 24. Mai. Der FCK will nur eines: raus aus der 3. Liga. Wo aus der zentralen Vermarktung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nur etwa eine Million Euro aus Medienerlösen an jeden Klub fließt, während die Summe in der 2. Bundesliga mehr als sieben Mal so hoch ist.

Dass allerdings mit Kaiserslautern ausgerechnet ein Verein um den Aufstieg spielt, der vor zwei Jahren angesichts eines Schuldenberges von 24 Millionen Euro Insolvenz anmelden musste – das befeuert die Diskussionen um die Strukturen in der 3. Liga einmal mehr. Die höchste Männerliga des DFB sei in der jetzigen Form nicht zukunftsfähig, sagt Gregor Reiter dem WDR-Hintergrundmagazin "Sport inside".

Der in der Fußballbranche bekannte Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter verweist darauf, dass ausgerechnet Aufstiegsanwärter Kaiserslautern von einer Corona-Ausnahmeregelung des DFB profitiert hatte, wonach der Abzug von neun Punkten ausgesetzt wurde. Das sehe mancher Konkurrent in der 3. Liga sehr kritisch, so Reiter: "Kaiserslautern war keine Corona-Insolvenz. Das Problem hat es vorher schon gegeben." 

Zehn Insolvenzen in zehn Jahren

Reiter spricht von einer grundsätzlichen Überforderung des DFB angesichts von zehn Klub-Insolvenzen in den vergangenen zehn Jahren. "Da muss man sich schon die Frage stellen: Wie konnte das passieren? Wird das nicht überwacht? Gibt es kein Controlling beim DFB? Warum greift man da nicht ein?" Zuletzt konnte Türkgücü München ab März nicht einmal mehr die Saison zu Ende spielen. Das liege, so Reiter, an strukturellen Fehlern, die der DFB seit Gründung der Spielklasse vor 14 Jahren nicht beseitigt habe. Reiter plädiert sogar für die Abschaffung der 3. Liga. "Die Aufteilung der 3. Liga in vier Regionen wäre der sinnvollere Weg, weil ich geringere Kosten habe und weil ich attraktivere Spiele habe. Jedes Wochenende ein neues Derby." So eine Liga sei auch besser zu vermarkten.

Die 3. Liga sei in der jetzigen Form "eine Totgeburt", sagt gegenüber "Sport inside" auch Manfred Schwabl, Präsident der Spielvereinigung Unterhaching: "Da muss man das ganze System in Frage stellen." Schwabl war Mitglied der "DFB-Taskforce Wirtschaftliche Stabilität 3. Liga". Deren Arbeit beendete der DFB im Herbst 2021. Es sei in der Taskforce viel gesprochen worden, so Schwabl - aber er bezweifle einen nachhaltigen Effekt. Als Indiz dafür taugt auch, dass im Abschlussbericht des DFB zur Taskforce die Rede davon ist, die 3. Liga sei "ein grundsätzlich gesundes Produkt". Der DFB stellt in dem Bericht allerdings auch fest, dass die Erlöse "kurzfristig nicht signifikant zu steigern" seien.

13 von 20 Klubs mit Saison-Fehlbetrag

Das klingt für viele Kritiker beunruhigend, weil laut kürzlich veröffentlichtem DFB-Report zur Saison 2020/21 schon jetzt die durchschnittlichen Ausgaben der Vereine (11,8 Millionen Euro pro Saison) die Einnahmen (knapp 11,4 Millionen) übersteigen. Viele Klubs überlebten offensichtlich die Corona-Pandemie nur mit staatlichen Zuschüssen. 13 der 20 Vereine wiesen 2020/21 einen Saison-Fehlbetrag aus. Und das geht seit Jahren so. Dennoch sprach der zuständige DFB-Vizepräsident Peter Frymuth bei einer Pressekonferenz im April nur davon, dass die "Verantwortlichkeit bei den Vereinen" liege. Auf deren kaufmännische Arbeit vor Ort habe der DFB wenig Einfluss. 

Zumindest hat die Taskforce einige Verschärfungen für das Zulassungsverfahren auf den Weg gebracht, das ebenfalls in der Kritik steht. Diese sollen ab der Saison 2023/24 greifen und würden, so Frymuth, "zu einer weiteren Stabilität der Liga" führen. Im Kern geht es darum, Verstöße gegen die Eigenkapital-Auflage (laut DFB verfügen überhaupt nur neun Vereine über ein positives Eigenkapital) und eigene Planzahlen frühzeitiger und härter als bisher zu bestrafen - mit Geldbußen und Punkabzügen.

Diese Maßnahmen seien ein erster Schritt, würden aber zu spät greifen und seien längst nicht ausreichend, sagt Andreas Rettig gegenüber "Sport inside". Der ehemalige DFL-Geschäftsführer war Anfang Mai aus der Geschäftsführung von Viktoria Köln ausgeschieden. Er verweist auf den aus seiner Sicht gravierendsten Fehler im System: Die Vereine schicken ihre Haushaltsunterlagen für die kommende Saison (ab Juli) bereits im März an den DFB, erhalten dann die Lizenz – und erst im November, also deutlich nach der Transferperiode, überprüft der DFB, ob die Etatplanungen auch stimmig waren.

Türkgücü als Paradebeispiel

Im Fall Türkgücü waren aus anfangs kalkulierten drei Millionen Euro Personalkosten fünf Millionen geworden. Das überraschte in der Liga keinen – aber wohl den DFB. Die Summe der Perssonalkosten sei angesichts des prominent mit ehemaligen Erst- und Zweitligaprofis bestückten Kaders absolut unrealistisch gewesen, so der Tenor ligaweit. Insgesamt geben die Vereine durchschnittlich 4,9 Millionen Euro für ihre Spieler aus. Der ehemalige Türkgücü-Torwart René Vollath sprach gegenüber "Sport inside" davon, dass es Monatsgehälter bei einzelnen Spielern jenseits der 20.000 Euro gegeben habe.

Andreas Rettig sagt, der DFB müsse "schärfere Instrumente in die Hand bekommen, um zeitnäher hier auch sanktionieren oder auch unterjährig Auflagen erteilen zu können". Er fordert einen Kassensturz durch den DFB am Ende der Transferperiode, also Anfang September – und nicht erst im November. Dann könne man Klubs in finanzieller Schieflage "spätestens zum Jahresende den Stecker ziehen". Sprich: Türkgücü wäre im Winter ausgeschlossen worden. Der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung wäre dann nicht in dieser Form aufgekommen.

Schwabl fordert 30 Millionen für Nachwuchs-Fördertopf

Manfred Schwabl verweist auf ein weiteres strukturelles Problem: Die vor 14 Jahren eingeführte 3. Liga sei als Ausbildungsliga geplant gewesen – und längst von der Realität überholt. Teure, oft in die Jahre gekommene Spieler würden Talenten den Platz rauben. Und in der Tat: Nur 102 von 525 Akteuren in der Saison 2020/21 waren unter 21 Jahre alt – also nicht einmal jeder fünfte. Und jeder dieser jungen Spieler kam bei 38 Saisonspielen nur 880 Minuten im Schnitt zum Einsatz. Schwabl forderte unter Beteiligung der Deutschen Fußball Liga (DFL) 30 Millionen Euro für den Nachwuchs-Fördertopf, aus dem alle Vereine mit guter Talente-Arbeit belohnt werden – derzeit sind es gerade einmal drei Millionen.

Der DFB hatte bei der Pressekonferenz im April betont, als Lehre aus der Taskforce an einer Erhöhung des Fördertopfes zu arbeiten – ohne eine anvisierte Summe zu nennen. "Das Grundübel sind die hohen Personalkosten", so Schwabl, jene Spielergehälter, die während Corona sogar noch gewachsen sind: "Und das hängt damit zusammen, dass man lieber etablierte Kräfte einbaut, während die deutschen Nachwuchskräfte auf der Strecke bleiben. Das ist in die völlig verkehrte Richtung gelaufen." Die ganze Liga müsse endlich nachhaltiger werden, so Schwabl, der weitere Insolvenzen befürchtet: "Vielleicht muss es noch 15 Vereine zerreißen, damit sich mal was ändert."