Fußball | WM Menschenrechtsverstöße - Entschädigungen für Gastarbeiter in Katar gefordert

Stand: 19.05.2022 02:00 Uhr

Menschenrechtsorganisationen haben FIFA-Präsident Gianni Infantino mit Blick auf die WM 2022 aufgefordert, zusammen mit Katar ein Entschädigungsprogramm für Gastarbeiter aufzusetzen.

"Die Organisationen fordern die FIFA auf, als Entschädigungssumme für die zahlreichen Menschenrechtsverstöße, die seit 2010 begangen wurden, mindestens 440 Millionen US-Dollar bereitzustellen - das entspricht der Summe der Preisgelder dieser WM", heißt es in einer am Donnerstag (19.05.2022) veröffentlichten einer Mitteilung.

Neben Menschenrechtsorganisationen unterzeichneten auch Gewerkschaften und Fan-Gruppierungen den Aufruf. DIe WM beginnt am 21. November 2022.

Neuer Amnesty-Bericht: "Historisches Ausmaß an Ausbeutung"

Gleichzeitig kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem neuen Bericht, sechs Monate vor Beginn der Fußball-WM, die FIFA und WM-Gastgeber Katar. Die FIFA habe es in den Jahren nach der WM-Vergabe versäumt, das Risiko von Ausbeutung an Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern zu verhindern, schreibt Amnesty.

Trotz eines eingeleiteten Reformprozesses kritisiert Amnesty Katar für die mangelnde Durchsetzung der Arbeitsreformen und spricht von Ausbeutung in einem historischen Ausmaß, dem Hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen über viele Jahre hinweg ausgesetzt waren.

Norwegens Verbandschefin will mit dem DFB-Hilfsfonds einrichten

Die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness hatte im April in einem Interview mit der Sportschau über die Zusammenarbeit mit dem DFB bei der Einrichtung eines Hilfsfonds für die Opfer gesprochen. Klaveness habe sich mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf über eine konkrete Zusammenarbeit verständigt, sagte sie. "Wir wollen sicherstellen, dass Familien von getöteten und verletzten Arbeitern angemessen entschädigt werden", sagte Klaveness.

Die Organisationen riefen nun den DFB dazu auf, sich der Forderung anzuschließen und diese öffentlich zu unterstützen. Der DFB hatte Boykottforderungen stets eine Absage erteilt und sich stattdessen auf die Möglichkeit berufen, im Dialog mit Katar und durch die von der WM erzeugte Aufmerksamkeit Veränderungen herbeizuführen.

Infantino verweist auf Fortschritte und spricht von nur drei Todesfällen

FIFA-Präsident Gianni Infantino, der Anfang des Jahres seinen Wohnsitz nach Katar verlegt hat, wurde im April bei einer Wirtschaftskonferenz in Kalifornien nach einer möglichen Entschädigung für Opfer und ihre Familien gefragt. Er verwies in seiner Antwort erneut auf Veränderungen, die in Katar angestoßen worden seien.

Infantino nannte den Mindestlohn und die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu wechseln. Menschenrechtsorganisationen bestätigten zuletzt zwar Fortschritte beim Arbeitsrecht in Katar, kritisierten aber zugleich eine mangelhafte Durchsetzung dieser Reformen, wodurch die Arbeitenden nicht zu ihren Rechten kämen.

Infantino stellte auf die Frage nach einer Entschädigung für die Toten zugleich in der Öffentlichkeit genannte Zahlen in Frage und betonte, dass es auf WM-Stadionbaustellen nur drei Todesfälle gegeben habe - und nicht 6.500. Für Empörung sorgten Infantinos weitere Ausführungen bei dem Termin. Er sagte, dass man den Menschen mit harter Arbeit "Stolz und Würde" gebe.

Deutung der Zahlen prägt öffentliche Debatte

Die Zählung der Toten spielt bei der öffentlichen Debatte eine große Rolle.

  • 6.500: Diese Zahl an toten Gastarbeitern veröffentlichte der "Guardian" 2021. Die Zeitung bezog sich dabei auf die Gesamtanzahl der verstorbenen Gastarbeiter seit WM-Vergabe nach Katar aus fünf Ländern (Indien, Nepal, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka). Diese Zahl bezog sich nie alleine auf WM-Baustellen.
  • 3: Das Organisationskomitee der WM bezieht sich bei seiner Zählung konkret nur auf den Bau der WM-Stadien. Dabei unterscheidet das Komitee den Tod von Menschen in "während der Arbeit" und "nicht während der Arbeit". Nach dieser Zählung sollen insgesamt 37 WM-Arbeiter beim Stadionbau in den vergangenen Jahren gestorben sein, davon 34 "nicht während der Arbeit".

Amnesty International bemängelte, dass der Tod Tausender Gastarbeiter in Katar nicht untersucht wurde, obwohl es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen ihrem Tod und gefährlichen Arbeitsbedingungen wie beispielsweise der Hitze gegeben habe. Es würden stattdessen routinemäßig Totenscheine ausgestellt, in denen Todesfälle auf "natürliche Ursachen" oder vage definierte "Herzfehler" zurückgeführt werden.

Katar mit weiteren Menschenrechtsverletzungen

Neben den Rechten von Arbeiterinnen und Arbeitern gibt es weitere Menschenrechtsverletzungen in Katar. Homosexuelle Handlungen sind gesetzlich verboten, das Gesetz sieht Peitschenhiebe und Gefängnis als Strafe vor. Ein Sicherheitsbeamter sagte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Associated Press, dass Regenbogenflaggen von Fans bei der WM konfisziert werden könnten, "um sie vor Übergriffen zu schützen".

Frauen haben weniger Rechte und stehen unter männlicher Vormundschaft. Eine Anzeige von Vergewaltigungen führte in der Vergangenheit zu Gerichtsverfahren wegen außerehelichem Geschlechtsverkehr. Auch die Meinungsfreiheit wurde 2020 weiter eingeschränkt.

440 Millionen US-Dollar "Minimum" für eine Entschädigung

Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland, sagt in einer Mitteilung zu dem Aufruf zu einem Entschädigungsprogramm: "Dass Menschenrechte im gesamten Vergabeprozess keine Rolle gespielt haben, ist fatal. Die FIFA hat die Augen vor vorhersehbaren Menschenrechtsverletzungen verschlossen und diese nicht gestoppt." Die FIFA habe zu den Menschenrechtsverstößen beigetragen, so Müller-Fahlbusch.

Arbeiter in Katar

Arbeiter in Katar

Laut Amnesty International sei die Summe von 440 Millionen US-Dollar das Minimum "für die Erstattung nicht gezahlter Löhne, erpresserische Vermittlungsgebühren und die Entschädigung für Verletzungen und Todesfälle". 2018 nahm die FIFA bei der WM in Russland nach eigenen Angaben etwa 5,4 Milliarden US-Dollar ein.