Fußball | Homosexualität Jake Daniels und die Debatte um mehr Toleranz im Fußball

Stand: 18.05.2022 07:00 Uhr

Der britische Fußballer Jake Daniels erfährt nach seinem Coming-Out viel Unterstützung. Doch die Debatte um mehr Toleranz und Vielfalt im Fußball steht noch am Anfang.

Als Fußballer beim englischen Zweitligisten Blackpool produziert Jake Daniels normalerweise keine großen Schlagzeilen. Dennoch wurde er nun über Nacht zu einem der bekanntesten Kicker auf der Insel: In einer Klub-Mitteilung hatte sich der 17-jährige Nachwuchsstar am Montag (16.05.2022) zu seiner Homosexualität bekannt. Als erster aktiver Fußballer in England seit mehr als 30 Jahren.

Seine Beweggründe dafür legte er in einem Interview mit dem TV-Sender "Sky Sports" offen: "Ich habe viel zu lange gelogen. Es war endlich an der Zeit, dass die Leute mein wahres Ich kennenlernen." Am Tag, als er seiner Mutter und seiner Schwester von seinem Entschluss erzählt hatte, sich zu offenbaren, schoss er für Blackpool vier Tore, erzählte Daniels. Dies habe gezeigt, welch "riesige Last mir von den Schultern genommen wurde".

Viel Unterstützung für Daniels nach Coming-Out

Für sein Coming-Out, das erste eines aktiven männlichen Fußballprofis in Europa seit Justin Fashanu 1990, bekam Daniels ein großes Echo und viele Solidaritätsbekundungen. Aus der britischen Politik, aber auch aus dem englischen Fußball, etwa von Nationalmannschaftskapitän Harry Kane.

"Fußball sollte ein Spiel für alle sein", schrieb Prince William, zugleich auch Vorsitzender der englischen Football Association, bei Twitter. "Was Jake getan hat, erfordert Mut, und sorgt hoffentlich dafür, Schranken zu beseitigen, die in unserer Gesellschaft keinen Platz haben."

Daniels habe mit seinem Bekenntnis einen Weg geebnet "für viele, die nach ihm kommen werden", sagte BBC-Moderator und Fußballlegende Gary Lineker.

Debatte um Toleranz - trotz Regenbogenfarben bei der EM

Damit sprach Lineker, der sich auch sonst gerne mal nachdenkliche Aussagen zu gesellschaftspolitischen Dingen leistet, eine weitere, große Frage an: Wieso haben sich im Jahr 2022 eigentlich nicht noch mehr Fußballer offen zu ihrer Homosexualität bekannt? Wo doch, zumindest in weiten Teilen Europas, überall Toleranz und Vielfalt propagiert wird, auch bei großen Fußballturnieren.

Bei der Europameisterschaft im vergangenen Sommer lief Nationaltorhüter Manuel Neuer mit einer Kapitänsbinde in den Regenbogenfarben auf. Der DFB schrieb sich als EM-Gastgeber Toleranz auf die Fahne und stritt sogar öffentlich mit der UEFA darüber, ob das Münchner Stadion in Regenbogenfarben illuminiert werden durfte.

Einen aktiven Bundesligafußballer, der sich offen zur Homosexualität bekennt, hat es aber auch in Deutschland bislang nicht gegeben. Thomas Hitzlsperger wagte das Coming-Out erst nach dem Ende seiner Karriere.

DFB-Beauftragter für Vielfalt: "Stehen noch am Anfang"

Christian Rudolph von der Anlaufstelle für sexuelle Vielfalt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) verzeichnet einen gewissen Wandel, auch im deutschen Fußball. Dies hätten auch die gesellschaftlichen Debatten bei der EM gezeigt, Homophobie galt dort in weiten Teilen als geächtet.

Nichtsdestotrotz stehe die Entwicklung noch am Anfang, betont Rudolph. In England habe der Fußball einige Jahre früher damit begonnen, Aufklärungsarbeit gegen Homophobie zu betreiben und den kulturellen Wandel anzustoßen.

Dass sich mit Daniels nun ein aktiver schwuler Fußballer bekannt habe, reiche aber alleine nicht aus, um Normalität zu schaffen. "Es gibt nach wie vor zu wenig Verständnis für die Situation dieser Spieler*innen, sagte Rudolph der Sportschau: "Am Ende geht es darum, das Privatleben mit der Öffentlichkeit normal teilen zu können, so wie Heterosexuelle es auch machen, Beziehungen offen zu leben, etwa auch dass man zusammen auf der Vereinsfeier erscheint."

Falscher Fokus: Warten auf den ersten schwulen Bundesligaprofi

Die Debatte, ob der deutsche Fußball reif sei für den ersten offen homosexuellen Bundesligafußballer, habe zudem den falschen Fokus, betonte der DFB-Beauftragte: "Zum Fußball gehören nicht nur die Spieler*innen, sondern auch viele andere Aktive: Ehrenamtliche, Präsidium, Schiedsrichter*innen. Der FC Bayern zum Beispiel hat ungefähr 800 Mitarbeiter*innen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dort Queere dabei sind, ist sehr groß", sagte Rudolph. "Wir müssen es schaffen, ein offenes Klima zu schaffen, in dem sich dort auch die Vereine stärker engagieren. Die Lösung wird nicht sein: Wir haben den einen offen schwulen Spieler, und dann wird alles gut."

Das Wissen, nach einem Coming-out automatisch zu einem Vorkämpfer gemacht zu werden, für eine Sache, die doch eigentlich den gesamten Fußball und auch die Gesellschaft angeht, verstärkt zusätzlich den Druck auf schwule Fußballprofis - und dürfte manche davon abhalten, sich öffentlich zu bekennen. Insgesamt gibt es im Fußball an vielen Schaltstellen weiterhin zu wenig Vielfalt: schwarze Schiedsrichter*innen etwa und nach wie vor zu wenige Trainerinnen, selbst im Frauenfußball.

PSG-Spieler Gueye soll Solidaritätskampagne boykottiert haben

Auch mit Widerständen gegen den viel beschworenen Wandel muss weiter gerechnet werden, dies zeigt wohl auch ein aktueller Fall aus der französischen Ligue 1. Dort verpasste Idrissa Gueye von Paris St.Germain am vergangenen Wochenende das Ligaspiel in Montpellier, "aus persönlichen Gründen", wie es zunächst offiziell hieß.

Der wahre Beweggrund des Spielers, so berichtete es die "New York Times" und berief sich auf Quellen aus der Mannschaft, sei aber gewesen, dass er nicht bei der ligaweiten Solidaritätskampagne zum International Day gegen Homophobie mitmachen wollte. Alle Teams liefen in Frankreich mit Rückennummern in den Regenbogenfarben auf. Gueye wollte sich mit dieser Botschaft offenbar nicht identifizieren - und blieb lieber draußen.