Rasmus Tiller fährt bei der Deutschland Tour in Essen vor großer Zuschauermenge

Hohe Auflagen und bewusste Zweitklassigkeit Die Deutschland Tour und ihre Grenzen

Stand: 26.08.2023 22:15 Uhr

Tausende Zuschauer bei der dritten Etappe von Arnsberg nach Essen sorgten für ein Tour-de-France-Feeling an der Strecke. Dass die Deutschland Tour aber überhaupt in Großstädten wie Essen stattfinden kann, stellt die Veranstalter vor erhebliche Herausforderungen.

Bevor sich die Fahrer auf die dritte Etappe nach Essen aufmachten, kamen sie am Start in Arnsberg für eine Schweigeminute für Tijl De Decker zusammen. Das belgische Radsport-Talent vom Team Lotto-Dstny, das auch an der Deutschland Tour teilnimmt, erlag am Freitag den Folgen eines schweren Unfalls. De Decker kollidierte während des Trainings mit einem Auto.

Nach dem Start war im sauerländischen Startort zumindest bei den Zuschauern von der bedrückenden Stimmung nichts mehr zu spüren. Mehrere Tausend Menschen strömten bei bestem Wetter an die Strecke in Essen und sahen den Überraschungssieg des Esten Madis Mihkels (Intermarché-Circus-Wanty), der sich im Zielsprint durchsetzen konnte.

Riesiger Aufwand für großen Radsport

Damit die Fahrer auch sicher an ihrem Ziel ankommen, wurde ein riesiger Aufwand betrieben: Straßensperrungen rund um die Philharmonie in der Essener Innenstadt, gestrichene Bahnverbindungen und Schlaglöcher, die noch gestopft wurden. Nicht immer zur Begeisterung aller Anwohner. Stellenweise herrschte großes Verkehrschaos, überraschte Autofahrer beschwerten sich darüber, nicht wie gewohnt von A nach B zu kommen.

Dass nicht alle die Begeisterung für den Radsport teilen, ist auch dem Geschäftsführer der Deutschland Tour, Matthias Pietsch, klar. "Ich habe Verständnis für die Leute, wenn sie fragen, warum so ein Rennen ausgerechnet vor ihrer Haustür stattfinden muss", so Pietsch zur Sportschau. Gemeinsam mit den Etappenorten würden sie aber frühzeitig über alle Einschränkungen informieren. "Es ist aber wie überall. Einerseits ruft so eine Veranstaltung Freude bei den Menschen hervor, andererseits gibt es Leute, die damit nichts anfangen können."

Organisation von Rennen eine Herausforderung

Seit der Wiedereinführung im Jahr 2018 ist es die fünfte Ausgabe des größten deutschen Etappenrennens. Dabei wechseln sich bei der Austragung kleine Gemeinden mit großen Metropolen ab. "Es zeigt, dass wir mit der Deutschland Tour überall hingehen können - sowohl in kleine Orte wie St. Wendel mit 26.000 Einwohnern als auch in Großstädte wie Essen oder Stuttgart, wo so ein Event ebenfalls Menschen begeistern kann", sagt Pietsch.

Nach wie vor sei aber die Organisation eines Straßenrennens eine Herausforderung, welche je nach Größe der Stadt erheblicher wird. Pietsch vergleicht das mit dem Bau eines Fußballstadions. "Dessen Aufbau inklusive der Infrastruktur plant man jahrelang, wir ziehen das innerhalb kürzester Zeit hoch."

Darin steckt viel Zeit. Die Planungen für die jeweiligen Etappenorte der Deutschland Tour haben in der Regel einen Vorlauf von zwei Jahren. Dabei spielen vor allem die hohen Anforderungen der Behörden, auch über Ländergrenzen hinweg, eine große, erschwerende Rolle.

Kaum Chance für kleine Rennen

"Da stoßen selbst wir als professionelle Organisation manchmal an unsere Grenzen", gibt Pietsch zu bedenken. Er stellt sich die Frage, wie das kleinere Vereine oder Veranstalter schaffen wollen. "Die Deutschland Tour ist das Flaggschiff im deutschen Radsport und wir wollen zeigen, dass es geht. Aber ohne professionelle Strukturen ist es anscheinend nicht mehr wirklich möglich, ein Radrennen auf die Beine zu stellen." Aber genau das brauche der Sport ja, denn insbesondere die kleinen Rennen würden die Grundlage bilden und seien besonders wichtig für die Nachwuchsarbeit.

Tatsächlich ist die Deutschland Tour das einzige große Männer-Etappenrennen hierzulande, lediglich die Eintagesrennen in Hamburg und Frankfurt ziehen die Radsport-Elite noch an. Bei den Frauen hält die Lotto Thüringen Ladies Tour die deutsche Radsport-Fahne hoch. Während aber die Thüringen-Tour in die World Tour, die höchste Rennserie im Radsport, will, bleibt die Deutschland Tour in der UCI Pro Series. Und damit zweitklassig.

Deutschland Tour wie der DFB-Pokal

Das ist eine bewusste Entscheidung, denn in der höheren Kategorie dürften die drittklassigen Continental Teams nicht mehr teilnehmen. Dort starten allerdings die deutschen Nachwuchsfahrer, denen die Veranstalter eine Chance geben wollen - vor allem vor dem Hintergrund der wenigen hochklassigen Rennen in Deutschland. "Ich vergleiche das gerne mit dem DFB-Pokal, wo Bundesligisten gegen Zweit- oder Drittligateams spielen müssen. Das bringt Würze ins Rennen und sorgt hier und da auch mal für eine Überraschung", so Pietsch.

Überraschungen gibt es bei der diesjährigen Tour zu Genüge, mit dem derzeit Gesamtführenden Ilan Van Wilder hätten wohl die wenigsten gerechnet. Kurz vor dem Start standen andere Namen auf dem Zettel der Experten, so zum Beispiel Adam Yates oder Chris Froome. Diese sagten ihre Teilnahme aber kurzfristig ab. Das läge an dem vollen Kalender in diesem Jahr, die Weltmeisterschaft Anfang August hätte einiges durcheinandergewirbelt.

"Nichtsdestotrotz ist die Tour gut besetzt. Aber im Vergleich zu den vergangenen Jahren muss man, was den Kalender angeht, noch einmal schauen, dass wirklich die besten Fahrer kommen", sagt Pietsch. Eines steht jedoch fest: Über fehlendes Interesse aufseiten der Gemeinden und Städte können sich die Tour-Veranstalter nicht beklagen. Die Ausgabe nächstes Jahr stehe schon grob fest, für 2025 und 2026 gebe es auch schon Interessenten.